“Das ist der größte Fehler bei der Behandlung von Krankheiten, dass es Ärzte für den Körper und Ärzte für die Seele gibt, wo beides doch nicht getrennt werden kann.” – Platon (427-347 v.Chr.) –

Können Sie sich noch an Ihre Kindheit erinnern, zurück erinnern, als Sie noch ein Säugling oder Kleinkind waren? Nein? Ihr Körper kann es!

Viele Dinge verrichten wir, ohne darüber nachzudenken: Schleife binden, nachts den Lichtschalter finden, Fahrradfahren, nach Hause fahren und auch Spitzenleistungen bei Musikern oder Sportlern. Können wir das, was wir da tun vom Gedächtnis klar ins Bewusstsein holen?

Wir wissen intuitiv, dass es guttut, jemanden in den Arm zu nehmen oder erkennen am Klang der Stimme, ob ein Mensch fröhlich oder traurig ist.
Unser Bewusstsein hingegen ist vergleichsweise langsam und merkt meist erst auf, wenn „etwas nicht stimmt“ und unsere Gewohnheiten unterbricht. Ich also zu spät abbiege oder das Bauchgefühl vor einer dunklen Gasse warnt. Manchmal reicht ein Reifenquietschen, um den gesamten Körper in einen Unfall zurück zu versetzen.

Unser impliziertes Gedächtnis weiß also weit mehr als unser Bewusstsein.

Ein zweijähriges Kind, das ein Jahr zuvor misshandelt worden war, erkennt zwar seinen Peiniger auf einem Foto nicht wieder, aber körperlich reagiert es mit Stress.

Schlimme Erfahrungen brennen sich besonders tief ins emotionale Gedächtnis ein, um uns vor zukünftigem Schaden zu bewahren.

Somit haben insbesondere unsere ersten Lebensjahre, in denen wir noch vorsprachlich durch Anfassen, Sehen und Fühlen die Welt begriffen haben, einen großen Einfluss auf unsere Entwicklung und wie wohl wir uns in unserer Haut fühlen.

Eine italienische Forschungsgruppe hat Zwillinge im Mutterleib beobachtet und festgestellt, dass ab der 14. Woche Föten bereits gezielte Bewegungen hin zum anderen machen. Und schon die ersten Stunden nach der Geburt beginnen Babys, Gestik und Mimik nachzuahmen. Ab jetzt ist Kommunikation überlebenswichtig.

Es ist inzwischen experimentell bewiesen, dass wir uns Menschen näher fühlen, die unsere Mimik und Gestik spiegeln, Körperhaltung und Schrittrhythmus synchronisieren. Selbst die Aktivitätenmuster unserer Gehirne gleichen sich an, wenn wir einander zuhören und dabei innerlich mitfühlen.
Wir schaffen also von klein an eine Verbundenheit zu den Menschen unserer Umgebung. Durch die Reaktion auf die übertriebene Mimik der Eltern, lernt das Kind, wie seine Gefühle aussehen und was Ausdruck für Ärger, Angst oder Verständnis ist. Nach und nach verfeinert sich das Ausdrucksrepertoire des Kindes und verknüpft es mit Empfindungen und Erfahrungen. In seinem Leibgedächtnis wächst damit ein Fundus an emotionalem Wissen, verbunden mit körperlichen Reaktionen. Was fühlt sich gut an? Wofür muss ich mich schämen?

So übernimmt das Kind die Muster der Eltern, im Guten wie im Schlechten. Früh im Körpergedächtnis verankert und doch für den bewussten Verstand unerreichbar sind die Versagensängste der Mutter ebenso wie z.B. der Ekel des Vaters vor Schnecken.

Immer genauer entschlüsseln Wissenschaftler, wann schlechte Erfahrungen traumatisch werden; welche Bedeutung die neuronalen Entwicklungsphasen der ersten ein bis vier Lebensjahre haben. Dies ist eine Zeit von immenser Tragweite für unsere Entwicklung. Im ersten Lebensjahr verdoppelt sich z.B. das Hirnvolumen.

Im neunten Monat reifen Hirnareale besonders schnell, die wichtig sind für Stressregulation, Affekte und Emotionsverarbeitung. Und es entstehen zunächst fast doppelt so viele Synapsen wie erforderlich – also „use it or loose it“, wie die Forscher der Gehirnplastizität gern sagen.

Bei der aktuellen Forschung zeichnet sich ab, dass ein starker emotionaler Halt in den ersten beiden Lebensjahren wie ein Schutzschild wirkt: gegen genetisch bedingte Stressanfälligkeit genauso wie gegen schreckliche Erlebnisse. Wo dieser Schild aber fehlt, womöglich die Familie selbst eine Bedrohung ist und Gewalt, Missbrauch, Unfälle hinzukommen, ist die Folge ein komplexer Störungsmix. So fordern viele Experten bereits, „Entwicklungstrauma“ als neue Diagnose anzuerkennen.

Und ebenso beschränken sich viele Therapeuten nicht mehr nur auf die Betrachtung des Geistes, sondern beziehen das Wissen des Körpers mit in Ihre Arbeit ein. Körperorientiere Psychotherapie wird in immer mehr Studien belegt und Emotionen gelten inzwischen in der Fachwelt als Grundlage jeder Erfahrung und damit auch des Wandels der Persönlichkeit.

Der Körper ist also nicht nur Medium der Erinnerung, sondern auch der Veränderung. Und das gilt für Kinder ebenso wie für Erwachsene.
Der Haken ist, dass nur darüber nachzudenken oder zu sprechen nicht reicht, dass die verkörperten Gefühle, Gesten und Reaktionsmuster nicht mehr zurückkehren.

Der Begründer des bekannten Trauma-Zentrums in Boston, Prof. Bessel van der Kolk, sagt so schön: „Wir können den Organismus nur ändern, wenn wir die alten Gefühle in einem sichern Umfeld zulassen und ihnen dann einen neuen Weg weisen.“

In unserer Kindheit diente ein Gefühlsausdruck dazu, andere – meist die Mutter – zu bewegen. Als Erwachsene müssen wir uns selbst bewegen. Deshalb schüttet unser Organismus Adrenalin aus, spannt die Muskeln an, beschleunigt unseren Herzschlag, lässt uns schneller atmen und den Appetit verlieren. Das ist eine Aufforderung, etwas zu tun und neue Erfahrungen im Gedächtnis des Körpers zu verankern.

Also was hält Sie noch ab?

Sprechen Sie mich gerne an, wenn Sie alte Erfahrungen „wegklopfen“ möchten oder neugierig geworden sind, Ihre Körpersymptome zu verstehen! Klar wird in jedem Fall, warum wir uns an mehr erinnern, als wir glauben.